Angussarten im Spritzguss – Definition und Übersicht
Angussarten bezeichnen die unterschiedlichen Formen und Prinzipien, mit denen der flüssige Kunststoff im Spritzgussverfahren vom Angusskanal in die Werkzeugkavität – also in die Form des späteren Bauteils – geführt wird. Der Anguss ist dabei der erste Bereich, den der Kunststoff nach der Schnecke oder dem Heißkanalsystem durchläuft, bevor er das eigentliche Formnest füllt.
Je nach Geometrie, Werkstoff, Produktionsmenge und optischen Anforderungen kommen verschiedene Angussarten zum Einsatz. Die Auswahl der passenden Angussart beeinflusst maßgeblich die Bauteilqualität, die Wirtschaftlichkeit des Produktionsprozesses sowie die Anforderungen an das Werkzeugdesign.
Was ist ein Anguss?
Ein Anguss ist der Bereich im Spritzgusswerkzeug, durch den der Kunststoff beim Einspritzen in die Form fließt. Er stellt die Verbindung zwischen dem Verteilsystem (z. B. Kalt- oder Heißkanal) und dem Formnest her. Der Anguss dient der gleichmäßigen und vollständigen Befüllung der Kavität.
Da der Anguss meist erstarrt, wenn das Bauteil aushärtet, muss er nach dem Entformen entfernt werden. Die sichtbare Stelle am Bauteil, an der der Anguss angebracht war, wird als Angussmarke bezeichnet.
Warum gibt es unterschiedliche Angussarten?
Nicht jede Bauteilgeometrie, nicht jedes Material und nicht jedes Werkzeuglayout lässt sich mit ein und derselben Angussart wirtschaftlich und technisch optimal umsetzen. Die Auswahl der Angussart hängt unter anderem ab von:
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Größe und Form des Bauteils
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Wandstärke und Fließweg
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Kunststofftyp und Fließverhalten
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Optischen Anforderungen
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Seriengröße
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Werkzeugkonzept (Einfach-/Mehrfachkavität, Heißkanal etc.)
Ein Ziel dabei ist es, das Bauteil vollständig, schnell, ohne Lufteinschlüsse und mit minimalen Spannungen zu füllen – und dabei Angussreste und Nachbearbeitung möglichst zu minimieren.
Klassifikation: Wichtige Angussarten im Überblick
Im Folgenden werden die gängigsten Angussarten im Spritzguss definiert und systematisch eingeordnet.
Punktanguss
Der Punktanguss ist eine zentrale, runde Öffnung mit kleinem Durchmesser, die oft direkt ins Bauteil führt. Er befindet sich meist auf einer Flachfläche und wird häufig bei kleinen bis mittelgroßen Teilen eingesetzt.
Merkmale:
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Direkt im Formnest positioniert
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Kleine Angussmarke
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Meist automatisch abtrennbar beim Entformen
Einsatzgebiete: Sichtteile, technische Kleinteile
Filmanguss
Beim Filman- oder Flächenanguss wird der Kunststoff über eine breite, flache Öffnung in die Form geleitet. Diese Angussart eignet sich besonders bei flachen oder großflächigen Bauteilen mit gleichmäßiger Wandstärke.
Merkmale:
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Gleichmäßige Materialverteilung
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Gut geeignet für dünnwandige Teile
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Sichtbare Angusskante
Einsatzgebiete: Gehäuse, Blenden, Abdeckungen
Randanguss (Seitenanguss)
Der Randanguss wird seitlich an das Bauteil angebracht. Er ist relativ einfach in der Werkzeugkonstruktion umzusetzen, erfordert aber eine sichtbare Nachbearbeitung am Bauteil.
Merkmale:
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Einfache Werkzeugauslegung
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Manuelle oder automatische Trennung möglich
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Sichtbare Angussstelle
Einsatzgebiete: Technische Bauteile ohne besondere Designansprüche
Kegelanguss
Der Kegelanguss (auch Trichter- oder Zentralanguss) ist eine klassische Angussart bei einfachen oder rotationssymmetrischen Bauteilen. Er verläuft zentral und konisch ins Bauteil.
Merkmale:
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Einfache Herstellung
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Sichtbare, zentrale Angussmarke
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Oft bei Prototypen verwendet
Einsatzgebiete: Einzelteile, einfache Funktionsteile
Tunnelanguss
Der Tunnelanguss führt den Kunststoff unter der Trennebene in das Bauteil. Dadurch liegt die Angussstelle verdeckt, was optische Vorteile bietet.
Merkmale:
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Unsichtbare Angussmarke möglich
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Automatische Trennung beim Entformen
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Höherer Werkzeugaufwand
Einsatzgebiete: Sichtteile, komplexe Werkzeuge mit hoher Stückzahl
Heißkanalanguss
Beim Heißkanalanguss wird der Kunststoff durch beheizte Kanäle bis direkt zur Angussöffnung geführt. Die Schmelze bleibt im Kanal flüssig – nur das Bauteil erstarrt.
Merkmale:
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Keine Angussreste
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Materialeinsparung
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Kürzere Zykluszeiten
Einsatzgebiete: Großserien, komplexe oder teure Kunststoffe
Nadelverschlussanguss
Der Nadelverschlussanguss ist eine Weiterentwicklung des Heißkanalangusses. Hier verschließt eine steuerbare Nadel die Angussöffnung präzise.
Merkmale:
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Hochwertige Oberfläche ohne Angussmarke
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Genaue Prozesssteuerung
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Sehr komplexes Werkzeug
Einsatzgebiete: Hochwertige Sichtteile, Medizintechnik, Optik
Bedeutung der Angussart für den Spritzgussprozess
Die Wahl der passenden Angussart wirkt sich auf mehrere Aspekte des Spritzgießprozesses aus:
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Fließverhalten: Die Geometrie des Angusses beeinflusst, wie gut das Werkzeug befüllt wird.
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Druckverteilung: Ein gut positionierter Anguss sorgt für gleichmäßigen Druck im Bauteil.
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Kühlzeit & Zykluszeit: Dickere Angüsse brauchen länger zum Abkühlen.
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Nachbearbeitung: Je nach Angussart muss das Teil manuell entgratet oder bearbeitet werden.
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Ausschuss & Materialverlust: Größere Angüsse erhöhen den Materialverbrauch – besonders bei Kaltkanaltechnik.
Werkzeugtechnische Anforderungen
Verschiedene Angussarten erfordern unterschiedliche Anforderungen an das Werkzeugdesign:
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Trennungen, Auswerfer, Schieber
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Kühlkanäle in der Nähe des Angusses
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Positionierung von Anspritzpunkten zur Vermeidung von Bindenähten
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Simulationsgestützte Planung (z. B. Moldflow)
Bereits in der Konstruktionsphase sollten Werkzeugbau und Projektteam gemeinsam die Angussart definieren, um spätere Änderungen zu vermeiden.
Fazit
Angussarten im Spritzguss sind mehr als nur technische Varianten – sie sind ein entscheidender Baustein im Werkzeugdesign, in der Bauteilqualität und in der Produktionsplanung. Jede Angussart hat spezifische Vorteile, Einschränkungen und typische Einsatzgebiete.
Eine fundierte Auswahl der richtigen Angussart trägt maßgeblich zur Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Fertigung bei. Durch die Kombination aus technischer Erfahrung, Simulation und praxisnaher Analyse lassen sich optimale Ergebnisse erzielen – sowohl bei einfachen Funktionsteilen als auch bei hochwertigen Sichtbauteilen.