Entformschrägen
Entformschrägen spielen eine zentrale Rolle in der Kunststoffverarbeitung, insbesondere beim Spritzgussverfahren. Sie sorgen dafür, dass ein Bauteil nach dem Spritzvorgang problemlos aus der Form entfernt werden kann, ohne beschädigt zu werden oder die Form zu beeinträchtigen. In der Bauteilkonstruktion sind Entformschrägen daher nicht optional, sondern eine funktionale Notwendigkeit.
Was sind Entformschrägen?
Der Begriff Entformschräge bezeichnet eine gezielte Neigung der senkrechten Flächen eines Bauteils zur Entformrichtung. Anstatt exakt senkrecht zur Trennebene ausgeführt zu sein, weisen diese Flächen einen leichten Winkel auf – meist zwischen 0,5° und 3°, je nach Bauteil, Material und Oberfläche. Dieser Winkel erleichtert das Entformen des Bauteils aus dem Werkzeug nach dem Abkühlen des Kunststoffs.
Ohne diese Neigung würde das Bauteil an der Werkzeugwand „haften“ bleiben, was zu Formbeschädigungen, Bauteilverzug oder erhöhtem Ausschuss führen kann.
Warum sind Entformschrägen notwendig?
Nach dem Einspritzen des Kunststoffs in das Werkzeug kühlt das Material ab und schrumpft leicht. Dabei entsteht ein gewisser Unterdruck zwischen dem Bauteil und der Werkzeugwand. Ohne Entformschräge müsste das Teil gegen diese Haftreibung mechanisch herausgedrückt werden – was zu erheblichen Problemen führen kann:
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Beschädigung der Oberfläche
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Verformung des Bauteils
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Überlastung der Auswerfer
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Abrieb am Werkzeug
Durch die gezielte Anwendung von Entformschrägen wird die Kontaktfläche zur Werkzeugwand reduziert, was die Reibung beim Entformen deutlich senkt. Das schont das Werkzeug und erhöht die Prozesssicherheit – besonders bei automatisierter Serienfertigung.
Wie funktioniert eine Entformschräge?
Eine Entformschräge ist immer zur Entformrichtung ausgerichtet, also in der Regel senkrecht zur Trennebene des Werkzeugs. Je stärker die Wandhöhe eines Bauteils, desto größer sollte auch die Schräge ausgelegt sein. Das bedeutet: Je tiefer eine Kavität oder je höher ein Steg im Bauteil, desto wichtiger wird eine ausreichend große Entformschräge.
Ein einfaches Beispiel: Bei einem Becher aus Kunststoff sind die Außenwände leicht konisch nach innen geneigt – diese Konizität ist die Entformschräge.
Empfohlene Winkel für Entformschrägen
Die notwendige Entformschräge hängt von mehreren Faktoren ab:
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Art des Kunststoffs (z. B. PA, ABS, PP, PC)
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Oberflächenstruktur (poliert, genarbt, strukturiert)
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Bauteilgeometrie (Höhe, Wandstärke, Tiefe)
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Werkzeugöffnung (Zugänglichkeit der Kavität)
Als Faustregeln gelten:
Oberfläche | Empfohlene Entformschräge |
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Hochglanz | 0,5° bis 1° |
Matt | 1° bis 2° |
Genarbt (mittel) | 2° bis 3° |
Tief genarbt / strukturiert | 3° bis 5° |
Diese Werte sollten frühzeitig in der Konstruktion berücksichtigt werden, da nachträgliche Änderungen aufwendig und teuer sein können.
Auswirkungen auf die Bauteilkonstruktion
Die Entformschräge beeinflusst unmittelbar das Design eines Bauteils. Gerade bei technischen Produkten oder sichtbaren Kunststoffteilen kann eine zu große Schräge störend wirken – etwa bei Gehäusen, Clips, Steckverbindungen oder Führungsschienen. In solchen Fällen ist ein Kompromiss aus Funktionalität und Design notwendig.
Konstrukteur:innen arbeiten daher eng mit Werkzeugbauer:innen zusammen, um folgende Ziele zu erreichen:
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Optimale Entformbarkeit
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Wenig sichtbare Schrägen
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Gleichmäßige Wandstärken
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Vermeidung unnötiger Hinterschnitte
Typische Fehler bei fehlenden oder unzureichenden Entformschrägen
Wird auf Entformschrägen verzichtet oder sind diese zu gering, kann es zu folgenden Problemen kommen:
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Schwierige oder fehlerhafte Entformung
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Kratzer oder Abdrücke auf der Oberfläche
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Erhöhter Verschleiß des Werkzeugs
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Erhöhte Zykluszeit durch langsames Entformen
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Mechanische Beschädigung durch Auswerfer
Insbesondere bei hochpräzisen Bauteilen oder hochglänzenden Oberflächen ist dies nicht tolerierbar. Deshalb ist die korrekte Auslegung der Entformschräge elementar für den späteren Fertigungserfolg.
Entformschrägen bei Hinterschnitten
Hinterschnitte sind Geometrien, die quer zur Entformrichtung verlaufen – also beispielsweise Haken, Löcher oder seitliche Überhänge. Solche Bereiche benötigen oft Schieber oder zusätzliche Werkzeugelemente.
Doch auch hier spielen Entformschrägen eine Rolle: Die Hinterschnittbereiche sollten ebenfalls geneigt ausgeführt werden, um die Beweglichkeit der Schieber zu unterstützen und Reibung beim Entformen zu minimieren.
Simulation und Prüfung von Entformschrägen
In modernen CAD- und CAM-Systemen gibt es spezielle Analysefunktionen, um Entformschrägen zu prüfen und zu visualisieren. Diese Werkzeuge (z. B. Siemens NX, SolidWorks, Autodesk Moldflow) zeigen farblich an, welche Flächen bereits eine Schräge haben und wo Optimierungsbedarf besteht.
Dadurch lassen sich Kollisionen, problematische Zonen und zu geringe Winkel frühzeitig erkennen – noch bevor überhaupt ein Werkzeug gebaut wird.
Typische Analysefunktionen sind:
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Zugrichtungssimulation
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Entformbarkeitssimulation
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Winkelanalyse mit Farbverlauf
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Automatische Vorschläge für Mindestwinkel
Entformschrägen in anderen Verfahren
Obwohl Entformschrägen vor allem im Spritzguss eine große Rolle spielen, gelten ähnliche Prinzipien auch in anderen Bereichen:
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Druckguss (Metall): Noch größere Schräge notwendig wegen geringerer Elastizität des Metalls
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Tiefziehen: Leichte Neigung der Werkzeugkanten zur besseren Ablösung
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Formpressen: Schräge Flächen vermeiden Haftung des Werkstücks
In allen Fällen gilt: Die Entformschräge ist keine Option, sondern funktionaler Bestandteil des Werkzeugdesigns.
Rapid Tooling und Entformschrägen
Besonders bei Rapid Tooling, also dem schnellen Prototypen-Werkzeugbau, ist die präzise Planung der Entformschräge wichtig. Da diese Werkzeuge oft aus weicheren Materialien wie Aluminium oder Harz bestehen, ist die Gefahr von Beschädigungen durch klemmende Bauteile besonders hoch. Eine großzügige Entformschräge ist hier nicht nur ratsam, sondern notwendig für die Werkzeugstandzeit.
Fazit: Entformschrägen im Spritzguss
Entformschrägen sind essenziell für die wirtschaftliche, prozesssichere und beschädigungsfreie Entnahme von Kunststoffbauteilen aus Spritzgusswerkzeugen. Ihre richtige Auslegung entscheidet mit über Taktzeiten, Ausschussraten, Werkzeuglebensdauer und Produktqualität.
Wer Entformschrägen bereits früh in der Konstruktion berücksichtigt, spart nicht nur Kosten und Zeit, sondern stellt die Weichen für eine reibungslose Serienproduktion. Moderne CAD-Tools und eine enge Abstimmung mit dem Werkzeugbau helfen dabei, funktionale und ästhetische Lösungen zu realisieren.